X
  GO
de-DEen-US
ROA Codex. Ann Van Hulle, with additional contibutions by Lucy Lippard, Johan Braeckman, Gwenny Cooman, Kathy De Neve, Robert Williams, and RJ Rushmore.

Ann Van Hulle, ROA Codex. 2019

"ROA Codex", eine umfassende Untersuchung des rätselhaften belgischen Straßenkünstlers ROA, zusammengestellt von Ann Van Hulle mit bemerkenswerten Beiträgen von Lucy Lippard und Johan Braeckman und anderen, bietet einen ungefilterten Einblick in ein Jahrzehnt der Arbeit, die konventionelle künstlerische Grenzen sprengt. ROAs Reise, die in den Industrielandschaften Belgiens beginnt, erstreckt sich auf globale Leinwände im Freien, wo seine Kunst das Alltägliche durchbricht und eine ursprüngliche Verbindung zur natürlichen Welt heraufbeschwört.

In dieser Monografie wird ROAs künstlerisches Schaffen in Form von großformatigen Wandbildern und einem ständigen Dialog zwischen unserer rätselhaft konstruierten menschlichen Existenz und dem Tierreich dargestellt. Seine Arbeiten, die oft vor unerwarteten städtischen und ländlichen Kulissen entstehen, konfrontieren den Betrachter mit dem Vertrauten und doch Unbekannten. Die Gegenüberstellung von Tieren und Architektur, die in strengem Schwarzweiß dargestellt ist, vermittelt ein unheimliches Gefühl für die Kreaturen in uns und um uns herum, die in unserem modernen Lebensstil oft vergessen werden.

ROAs Beitrag zur kultigen Ausstellung “Art in The Streets” 2011 im MOCA in Los Angeles war ein bedeutender Meilenstein in seiner Karriere, doch seine Praxis ist nicht an einen Ort gebunden. Sein Atelier ist ebenso nomadisch wie seine Kunst, und er schafft ortsspezifische Werke, die tief in den lokalen Kontext eingebettet sind. ROAs Prozess beinhaltet das Aufsammeln von Materialien aus seiner momentanen Umgebung, wobei jeder Ort neue Begegnungen und Inspirationen bietet und seine künstlerische Erzählung weiter ausbaut.

ROA Codex” ist ein Beweis für diesen einzigartigen Ansatz und zeigt über 300 Bilder, die den globalen Fußabdruck von ROA dokumentieren. Das Buch geht tief in die Methode des Künstlers ein, lokale Umweltthemen in seine Arbeit zu integrieren, um den kritischen Zustand unseres Ökosystems und damit auch unsere Schuld zu verdeutlichen. Seine Motive, ob lebendig, skelettiert oder irgendwo dazwischen, sind mit einem rohen Realismus wiedergegeben, der die Wahrnehmung der Natur und die Erwartungen des Betrachters an Street Art in Frage stellt.

Die begleitenden Texte verschiedener Autoren ergänzen die visuelle Erzählung auf sinnvolle Weise, indem sie den Kontext zu ROAs Kunst und ihren Auswirkungen auf die Umwelt liefern und Einblicke in seine unkonventionelle Methodik bieten.

"ROA Codex" ist mehr als eine Sammlung von Straßenkunst; es ist ein unverzichtbarer Band für alle, die sich für die Überschneidung von Kunst, Umweltschutz und die Dynamik von städtischen und ländlichen Räumen interessieren. Die Arbeit von ROA ist nicht nur ein künstlerisches Unterfangen, sondern auch eine ergreifende Erinnerung an unsere oft übersehenen Mitbewohner auf diesem Planeten und ein Aufruf, sie anzuerkennen und zu schützen.

            Text Steven P. Harrington and Jaime Rojo      Fotos Sebastian Kläbsch

Golden Boy as Anthony Cool. Herbert Kohl and James Hinton

Herbert Kohl and James Hinton, Golden Boy as Anthony Cool. 1972

Herbert Kohls und James Hintons 1972 veröffentlichtes Buch "Golden Boy as Anthony Cool" ist ein bahnbrechendes Werk für die Erforschung von urbanen Graffiti und Straßenkultur. Es ist nicht nur eine akademische Erkundung, sondern eine Reise in das Herz von Graffiti als eine Form des persönlichen Ausdrucks, der Rebellion und der kulturellen Identität.Kohls aufschlussreiche Essays, gepaart mit Hintons stimmungsvollen Fotografien, geben einen Einblick in das Leben junger Menschen in den urbanen Landschaften von New York City und Los Angeles, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren gleichzeitig aufkeimen, vergehen und aufblühen. Diese pulsierenden und vibrierenden Gemeinschaften werden aufgezeichnet, ob wohlhabende Vororte oder kämpfende Nachbarschaften, jede scheint voll von Geschichten zu sein, die auf kryptische Weise durch Tags und Wandmalereien an Wänden und Türen erzählt werden.

Als wichtiger Teil der Geschichte der Straßenkunst ist "Golden Boy as Anthony Cool" eine unverzichtbare Quelle für jeden, der sich für die Wurzeln der modernen Graffitikultur interessiert. Seine überzeugende Mischung aus lebendigen Bildern und tiefgründigen Analysen macht es nicht nur zu einer unschätzbaren Ergänzung der Bibliothek eines jeden Sammlers, sondern auch zu einem Portal in die dynamische Welt der urbanen Straßenkunst. Das schlichte und unaufdringliche Buch ist ein Zeugnis für die Entwicklung von Graffiti und bietet ein tieferes Verständnis für die Kunstform und die Stimmen, die sie prägen.

In diesem Buch geht es darum, den kreativen Geist, die grenzenlose Energie und das intensive Verlangen, das jungen Menschen innewohnt, zu verstehen und sich zu eigen zu machen. Dieses Buch beschäftigt sich mit den Riten und Kulturen, den Hinweisen, Fetzen und Worten, die, wenn sie zusammengefügt werden, die Geschichte der Autoren, der Writer, der Künstler und der Revolutionäre erzählen. Hier erkennen wir, dass manche Menschen durch Graffiti ausdrücken, was sie in Gegenwart anderer nicht offen aussprechen können, indem sie Anonymität und Wände als Leinwand nutzen, um ihre tiefsten Gedanken und Gefühle zu vermitteln.

"Golden Boy as Anthony Cooll" ist ein Pionierwerk in der Erforschung von textbasierten Graffiti, das noch vor ihrer Anerkennung als legitime Kunstform entstand. Diese frühe, eingehende Studie dokumentiert die aufkeimenden Praktiken des Benennens und Markierens und stellt Graffiti als eine nuancierte und ausdrucksstarke Straßensprache und nicht als bloßen Vandalismus dar. Das Buch deckt die vielschichtigen Bedeutungen urbaner Graffiti auf, von Liebes- und Loyalitätserklärungen bis hin zu Akten des Widerstands.

Dieses Buch ist mehr als nur eine Zusammenstellung von Fotografien und Essays, es ist ein Leitfaden zum Verständnis der Stadtlandschaft aus der Perspektive ihrer lautstarken Bewohner. Es erforscht die Bedeutung von Straßennamen, die sozialen und politischen Botschaften von Graffiti und gibt Einblicke in die Gemeinschaften und Individuen hinter diesen Markierungen. Kohl und Hinton fangen einen Schlüsselmoment der Kulturgeschichte ein und zeigen Graffiti als aufstrebendes Medium der Selbstdarstellung und des sozialen Kommentars.

             Text Steven P. Harrington and Jaime Rojo      Fotos Sebastian Kläbsch

City of Kings: A History of NYC Graffiti. 1967-Today. NYCity of Kings. Conceived and curated by Al Díaz (BOMB1, SAMO©...) with Eric (DEAL CIA) Felisbret and Mariah Fox

Al Diaz, Eric Felisbret, and Mariah Fox. City of Kings: A History of NYC Graffiti. Second Edition 2022


"City of Kings: A History of NYC Graffiti" ist eine handwerkliche Erkundung der historischen Wurzeln der Graffiti-Szene in New York City. Entstanden aus einer prominenten Ausstellung, die von Al Diaz, Eric Felisbret und Mariah Fox mitkuratiert wurde, geht dieses Buch über die Rolle eines bloßen Katalogs hinaus und wird zu einem substantiellen Text, der einen detaillierten Überblick über die Graffiti-Bewegung auf strukturierte, akademische und fesselnde Weise präsentiert.
Al Diaz, ein ursprünglicher New Yorker Graffiti-Writer und Mitglied des einflussreichen SAMO©-Duos mit Basquiat, erzählt nicht nur von seinen eigenen Beiträgen, sondern beleuchtet auch die Geschichte der Zusammenarbeit in dieser Bewegung. Er beschreibt wortgewandt die Beharrlichkeit der Graffiti-Künstler und zeichnet ein lebendiges Bild ihrer Hingabe.


Das Buch ist in klar definierte Kapitel gegliedert, die die Entwicklung von Graffiti von "Genesis (1967-1971) The Wall Era" bis "Eternal (1989-Present) The Fields Blur" nachzeichnen. Dieser chronologische Ansatz bietet eine umfassende Darstellung der Entwicklung der Graffiti-Szene im Kontext der sich verändernden sozioökonomischen und kulturellen Landschaften. Die Autoren verwenden eine forschungsbasierte Methodik, eine umfangreiche Wissensbasis und Erzählungen aus erster Hand, um wichtige Meilensteine und Übergänge hervorzuheben.
Eric Felisbret, bekannt für seine Graffiti-Kunst als DEAL CIA und sein als Co-Autor verfasstes Buch "Graffiti New York", steuert wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse und archivarische Expertise bei. Seine Anwesenheit verleiht dem Buch Glaubwürdigkeit in Bezug auf die sachliche Genauigkeit und historische Tiefe.


Mariah Fox, eine Pädagogin und Kuratorin, verleiht der Präsentation eine akademische Stringenz und zollt gleichzeitig der Graffitikultur und ihren Akteuren Respekt. Ihr Hintergrund in Grafikdesign und Illustration, gepaart mit einem wissenschaftlichen Verständnis von Graffiti, resultiert in einem lehrreichen und visuell kohärenten Erzählstil. Fox stellt sicher, dass das Material inklusiv und leicht zugänglich aufbereitet ist und somit eine wertvolle Ressource für Lehrkräfte und Schüler darstellt.
In dem Buch kommen verschiedene Stimmen aus der Graffiti-Gemeinschaft zu Wort, darunter Pioniere und Kritiker, die zahlreiche Perspektiven auf die Graffiti-Kultur, ihre Codes, ihren Einfluss und ihre Entwicklung bieten. Diese Einblicke, die von Praktikern und Beobachtern, die tief in die Szene eingetaucht sind, geteilt werden, bieten den Lesern einen klaren und unverstellten Blick auf viele Komplexitäten und Debatten innerhalb der Graffiti-Erzählung.


"City of Kings" geht über die Rolle eines Ausstellungskatalogs hinaus und wird zu einem unverzichtbaren Text für Pädagogen, Historiker und Enthusiasten. Es bietet eine zuverlässige, abgerundete und authentische Quelle für das Verständnis der reichen und komplizierten Geschichte von Graffiti in New York City. Durch ihre einzigartige Perspektive als Praktiker, Wissenschaftler und Kuratoren präsentieren die Autoren einen lehrreichen Bericht über die Geschichte von Graffiti und respektieren dabei ihre Wurzeln und ihr Erbe.

            Text Steven P. Harrington and Jaime Rojo    Fotos Sebastian Kläbsch

 

"Dondi White (1961-1998): Dondism". Exhibition Retrospective. 7 avril- 10 mai 2018, curateur Michael White

Michael White (Kurator): "Dondi White (1961-1998): Dondism". Exhibition Retrospective Catalogue 7 avril- 10 mai 2018. 2018

"Dondi: Dondism" ist ein Katalog zu einer Retrospektive, die 2018 in der Ghost Galerie in Marseille stattfand, um zwei Jahrzehnte nach dem Tod von Dondi, einer Ikone der New Yorker Graffiti-Bewegung der 1970er und 1980er Jahre, zu gedenken. Die von seinem Bruder Michael White kuratierte Ausstellung zeigte über 40 Kunstwerke aus europäischen Privatsammlungen. Diese reichten von Gemälden auf Leinwand, Skizzen und Collagen auf Papier bis hin zu Fotografien von bekannten Fotografen wie Martha Cooper, Henry Chalfant und Sophie Bramly. Der Katalog enthält auch einen ergreifenden Essay von Herrn White zum Gedenken an Donald J. White, besser bekannt als Dondi.

Dondi wurde 1961 in Manhattan geboren und zog im Alter von sechs Monaten in den East New Yorker Stadtteil Brooklyn um. Obwohl seine prägenden Jahre von Herausforderungen geprägt waren und er sich aus Gründen der Selbsterhaltung Straßengangs anschloss, begann Dondi in den 1970er Jahren seine Graffiti-Reise. Anfänglich benutzte er verschiedene Pseudonyme wie BUS 129 und MR WHITE, bis er gegen Ende des Jahrzehnts den Namen DONDI annahm. Seine Zugehörigkeit zu Graffiti-Crews entwickelte sich im Laufe der Zeit, von TOP zu seiner eigenen Crew, CIA (Crazy Inside Artists).

Der Katalog unterstreicht Dondis bahnbrechenden Beitrag zur damals aufkeimenden Graffiti-Szene und hebt seinen einzigartigen Schreibstil hervor, der sich durch lesbare, dynamische und kompliziert gestaltete Buchstaben auszeichnet. Seine Serie "Children of the Grave" (Kinder des Grabes), die aus drei ganzen Waggons besteht, die zwischen 1978 und 1980 in der New Yorker U-Bahn bemalt wurden, ist ein Zeugnis seines Könnens.

Dondis Einfluss beschränkte sich nicht auf die Underground-Kunst, sondern er überbrückte die Kluft zwischen der Straßenkultur und der konventionellen Kunstszene. So nahm er 1981 an der von Futura und Fab Five Freddy organisierten Ausstellung "Beyond Words" (Jenseits der Worte) neben Größen wie Keith Haring teil. Später in den 1980er Jahren stellte er seine Leinwandarbeiten in der Fun Gallery von Patti Astor aus, wo er mit Künstlern wie Basquiat und Haring auf Tuchfühlung ging.

Dondi, der 1998 auf tragische Weise verstarb, hat mit seinem kompromisslosen Engagement und seiner Innovationskraft in der Graffiti-Bewegung unauslöschliche Spuren hinterlassen. Durch Ausstellungen wie "Dondi: Dondism" und den dazugehörigen Katalogen werden sein bleibendes Vermächtnis und der tiefgreifende Einfluss, den er sowohl auf die Graffiti-Gemeinschaft als auch auf die breitere Kunstwelt ausübte, weiterhin gefeiert.

            Text  Steven P. Harrington and Jaime Rojo  Fotos Sebastian Kläbsch

 

Martha Cooper: Taking Pictures. Steven P. Harrington, Jaime Rojo, and Martha Cooper.

Steven P. Harrington, Jaime Rojo, and Martha Cooper, Martha Cooper: Taking Pictures. 2020

"Martha Cooper: Taking Pictures" ist Buch und Katalog zur gleichnamigen Ausstellung über die fotografische Karriere von Martha Cooper im Urban Nation Museum in Berlin (04. Oktober 2020 - 15. Mai 2022). Das Buch zeigt in großzügigen Bildstrecken Marthas fotografische Reise durch sechs Jahrzehnte, wobei der Schwerpunkt auf Coopers bahnbrechender Dokumentation der aufkommenden Graffiti- und Hip-Hop-Bewegung in New York City Ende der 1970er Jahre liegt. Darüber hinaus enthält das Buch auch weniger bekannte Serien, die sich mit der japanischen Tattoo-Kultur befassen, und andere, die sich mit ihrer fesselnden Straßenfotografie befassen. Eine Sammlung von Essays bereichert die Publikation. Zu den Autoren gehören der Kunstkritiker, Kurator und Autor Carlo McCormick, die Autorin und Fotografin Nika Kramer, der Autor, Kurator und Hip-Hop-Historiker Akim Walta, die leitende Fotoredakteurin von National Geographic, Susan Welchman, der Kurator für Drucke und Fotografien am Museum of the City of New York, Sean Corcoran, sowie die Kuratoren der Ausstellung, Jaime Rojo und Steven P. Harrington.

Martha Cooper ist eine in Manhattan ansässige Dokumentarfotografin, die für ihre fesselnden Darstellungen der Graffiti- und Hip-Hop-Kultur bekannt ist, die als grundlegend für die Archivierung gelten und weltweite Anerkennung und umfangreiche Veröffentlichungen erlangt haben. "Martha Cooper: Taking Pictures", ein bahnbrechendes Unterfangen, das die erste umfassende Retrospektive von Martha Coopers bisherigem fotografischen Werdegang darstellt. Diese Publikation ist ein bleibendes Zeugnis, das nicht nur die Essenz der Ausstellung erläutert, sondern auch einen Überblick über Marthas übergreifenden Einfluss auf die Fotografie im Allgemeinen gibt und gleichzeitig einen integralen Bestandteil der Graffiti- und Hip-Hop-Geschichte darstellt.

Das gebundene Buch enthält einen Schatz an bisher unveröffentlichten Fotos, begleitet von aufschlussreichen Interviews und einem Kompendium von 40 ergreifenden Zitaten, die von einem eklektischen Spektrum von Marthas Zeitgenossen, Künstlern und Autoritäten aus den Bereichen Fotografie, Folklore, Graffiti und Hip Hop stammen. Die Zusammenstellung umfasst auch Weggefährten, langjährige Freunde und geschätzte Familienmitglieder. Die Zusammenstellung umfasst auch Weggefährten, langjährige Freunde und geschätzte Familienmitglieder. Besonders erwähnenswert ist das Cover des Buches, das von einem selten zu sehenden Foto geziert wird, das die Essenz des Graffiti-Writers Skeme einfängt, der in den urbanen Weiten von New York City waghalsig auf Zügen surft, wie es 1982 von Marthas scharfsinniger Linse verewigt wurde.

Das Buch gliedert sich in neun verschiedene Abschnitte, die jeweils Coopers fesselnden Fotografien gewidmet sind und von einer erhellenden Einleitung begleitet werden. Diese Abschnitte sind wie folgt: Graffiti, Street Play, Hip Hop, New York City, Martha's World, Martha Remixed, Tokyo Tattoo, Artist at Work und Sowebo/Soweto 2006-16.

Das 230 Seiten starke Buch wird von Urban Nation Museum für urbane und zeitgenössische Kunst, Berlin, und Steven P. Harrington / Jaime Rojo (BrooklynStreetArt.com) herausgegeben. Das Buch ist im Geschenkeladen des Museums erhältlich und kann im Lesesaal eingesehen werden.

            Text  Steven P. Harrington and Jaime Rojo  Fotos Sebastian Kläbsch

 

On the Run Magazine, Black Books Volume 3: SEEN. Zebster, mit zusätzlichen Archivfotos von Martha Cooper & Henry Chalfant

Zebster, Martha Cooper & Henry Chalfant. On the Run Magazine, Black Books Volume 3: SEEN. 1999

Dieser Hochglanz-Fotoband mit farbigen Beschnittbildern aus der Graffiti-Karriere des in der Bronx geborenen Graffiti-Writers Richard "SEEN" Mirando aus den 1970er bis 1990er Jahren bündelt die Breite und Tiefe seines kreativen Schaffens in einem Band. Throw-Ups, Blockbuster, Handballfelder, ganze Autos von oben bis unten - sie alle sind hier zu sehen, einige von ihnen wurden von den berühmten Fotografen Martha Cooper und Henry Chalfant abgelichtet.

SEEN prägte die Graffiti-Welt, als äußerst vielseitiger und einflussreicher Künstler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und einem breiten visuellen Repertoire, das sich im goldenen Zeitalter der frühen Graffiti über Dutzende oder Hunderte von New Yorker U-Bahnen erstreckte. Im Laufe seiner Karriere hat SEEN verschiedene Pseudonyme verwendet, die jeweils eine bestimmte Facette seines kreativen Ausdrucks repräsentieren. Als er 1983 in dem bahnbrechenden Film "Wild Style" unter der Regie von Charlie Ahearn zu sehen war, erlangte er internationale Anerkennung für seine innovativen Graffiti-Arbeiten, die sich durch komplexe Wildstyle-Schriftzüge, leuchtende Farben und komplizierte Designs auszeichnen.

Das Magazin zeigt Fotos von Zügen und Wänden, die SEEN als Teil der UA (United Artists Crew) bemalt hat. Er hat nicht nur das New Yorker U-Bahn-System unauslöschlich geprägt, sondern auch die Ästhetik und Techniken der Graffiti-Kunst weltweit entscheidend mitgestaltet. Seine vielen Alias-Namen ermöglichten es ihm, in der Graffiti-Subkultur mit verschiedenen Stilen zu experimentieren, darunter die Pseudonyme "Richie", "Apache", "MAD" und "Madseen", von denen jeder hier eine großzügige Rolle einnimmt.

Als Bonus, der das Verständnis des Lesers für den Künstler und die Szene in diesen goldenen Zeiten fördert, sind Schnappschüsse enthalten, wie einer mit SEEN und dem Schriftsteller LEE Quinones von der Fabulous Five Crew, die zusammen Dosen halten - "hanging out checking flicks at SEEN'e home summer, 1979". An anderer Stelle sehen Sie Fotos von ihm in Aktion und natürlich ein Standbild aus Style Wars. Sein Interesse an den Zeichentrickfiguren, die in der frühen, von Kindern und jungen Teenagern bevölkerten Zeit dieser Szene populär waren, ist hier mit bekannten Figuren wie Howard the Duck, Porky Pig und dem Unglaublichen Hulk vertreten.

Diese frühen Bilder sind in den meisten Fällen die einzige Aufzeichnung der Arbeit, und die Bildunterschriften, so kryptisch sie auch sein mögen, liefern manchmal eine zusätzliche Ebene von Details über Freundschaften, den Standort des Zuges, die Zugstrecke und möglicherweise die Wetterbedingungen.

“SEEN, J.SON, summer 1982

painted in the 6 yard (Bronx) on I.R.T. #6 train along with J.Son (the mob)”

" ‘Just Beautiful’ by SEEN and Zephy along on other cars with Daze, Dondi and Noc. 167 (when he made his comeback piece that night) in the #2 Yard, New Lots, Brooklyn”

“SEEN Blockbuster, ice cold winter 1979

side of gas station along the elevated tracks of da #6”

Die Fotosammlung wird traditionell

präsentiert, manchmal ohne den höchsten Produktionswert, aufgrund der chaotischen Untergrundszene, in der die Kunst möglicherweise nicht und innerhalb von Stunden nach ihrer Entstehung wieder gelöscht werden kann. Doch diese Sammlung von SEEs Arbeiten zeichnen sich jedoch auch durch seine technischen Fähigkeiten, seine lebendige Farbpalette und die Fähigkeit, die Grenzen des traditionellen Graffiti mit Buchstaben zu überschreiten. Es ist offensichtlich warum seine innovativen und einflussreichen Beiträge zur Graffitikunst Graffiti-Kunstform seinen Platz als bedeutende Figur in der Graffiti Subkultur und der gesamten zeitgenössischen Kunstwelt gefestigt haben.

            Text  Steven P. Harrington and Jaime Rojo  Fotos Sebastian Kläbsch

 

MadC: Street to Canvas. Claudia Walde & Luisa Heese

Claudia Walde  & Luisa Heese. MadC: Street to Canvas. 2022

"MadC: Street to Canvas" ist eine fesselnde Monografie, die sich mit der Karriere von Claudia Walde, bekannt als MadC, einer produktiven Künstlerin und Wandmalerin, befasst. Die 1980 geborene MadC begann ihre künstlerische Reise in den 1990er Jahren als Graffiti-Künstlerin in Bautzen, Deutschland, und verließ schließlich die lokale Szene, um in über 35 Ländern weltweit großformatige öffentliche Wandbilder zu schaffen. Im Laufe der Zeit haben ihre Wandgemälde und Leinwände, die mit ihren abstrakten Kompositionen aus geschwungenen Linien und transparenten Schichten aus leuchtenden Farben die Grenzen zwischen Straßenkunst und bildender Kunst verwischen, große Anerkennung gefunden.

Das Buch beleuchtet umfassend die künstlerische Entwicklung von MadC, von ihren frühen Graffiti-Tagen bis zu ihren jüngsten Arbeiten. Es dient als Monografie, die ihr vielfältiges Werk zeigt, das sowohl Leinwandarbeiten als auch großformatige Wandbilder an verschiedenen Orten rund um den Globus umfasst, darunter London, Kopenhagen, die Malediven und Abu Dhabi. Mit über 200 Kunstwerken und persönlichen Fotografien veranschaulicht das Buch MadCs Verwendung von Farbe und Dynamik, die sie mit Sprühdosen und Pinselstrichen einfängt. Der Leser erhält einen Einblick in die Unverwüstlichkeit und die Hingabe der Künstlerin, die ihre Werke in Galerien, Privatsammlungen und Institutionen einbrachte.

Zusätzlich zu den reichhaltigen farbigen Abbildungen webt das Buch gekonnt biografische Details und ästhetische Beschreibungen in die Erzählung ein und bietet dichte und farbenfrohe Prosa, die MadCs künstlerische Hartnäckigkeit und Hingabe näher beleuchtet. Durch diesen Ansatz wird MadCs künstlerische Praxis effektiv in den kulturellen Kontext von Graffiti eingebettet. Der Leser verfolgt ihren Weg vom Lehrling zur Meisterin der Graffitistile und -sprachen und wird Zeuge der Entwicklung ihrer Techniken, Methoden und visuellen Sprache. Das Buch stellt den kreativen Prozess der Künstlerin vor und zeigt, wie sich ihre Arbeit von dekonstruierten Formen zu ausgewogenen Kompositionen entwickelt, die ein Gefühl von Freiheit und Energie ausstrahlen.

Ein besonderes Highlight des Buches ist die von MadC im Jahr 2010 in Peissen, Deutschland, gemalte 700 Wall. Dieses monumentale Kunstwerk dient als Aerosol-Autobiografie, die ihre Entwicklung als Künstlerin innerhalb der geheimnisvollen Graffiti-Subkultur zeigt. Durch die dramatische Darstellung ihres Innenlebens wird die 700 Wall zu einer fesselnden Projektion von Träumen, Albträumen und persönlichen Sehnsüchten. Die Erzählung, die dieses Graffiti-Meisterwerk umgibt, bietet einen faszinierenden Einblick in die Codes und die Kultur, die MadCs künstlerische Identität geprägt haben.

"MadC: Street to Canvas" ist ein visuelles Vergnügen für Kunstliebhaber und ein Zeugnis für die Kraft der Kunst als universelle Sprache, die verbindet und inspiriert. Claudia Waldes Weg vom Graffiti-Writer zur renommierten Wandmalerin wird in dieser Monografie minutiös aufgezeichnet und festigt ihren Status als gefragte Künstlerin, deren Werk nahtlos von der Straße in die Galerie übergeht.

            Text Steven P. Harrington and Jaime Rojo Fotos Sebastian Kläbsch

 

Norman Mailer & Jon Naar, The Faith of Graffiti

The Faith of Graffiti. Norman Mailer & Jon Naar. 1974

In seinem bemerkenswerten Essay aus dem Jahr 1974, der hier in ein Buch umgewandelt wurde, mit dem Titel "The Faith of Graffiti" (Der Glaube an Graffiti), untersucht Norman Mailer, ein amerikanischer Schriftsteller, Romancier und Journalist, Graffiti als einen bedeutenden künstlerischen und politischen Ausdruck. Von Anfang an legt Mailer einen fesselnden Ton an den Tag, indem er die Namen von Graffiti-Writern wie CAY 161, TAKI 183 und JUNIOR 161 nahtlos mit denen verehrter Meister aus verschiedenen Kunstbewegungen der Geschichte, darunter Botticelli, Michelangelo, Leonardo, Rothko und Ellsworth Kelly, verwebt. Auf diese Weise verleiht Mailer der Arbeit von Graffiti-Writern Geltung und erkennt Graffiti selbst als eine bedeutende Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts an.

Der Vergleich Mailers stieß auf Kritik und löste Debatten aus, insbesondere wegen der Bedenken, dass er etwas legitimieren könnte, was manche als bloße Sachbeschädigung ansahen, aber auch sein einzigartiger Schreibstil wurde in Frage gestellt. Kritiker argumentierten, dass seine Außenseiterperspektive ihn möglicherweise daran hinderte, die Subkultur genau zu verstehen, und dass seine Beschreibungen von Graffiti übermäßig romantisiert waren. Es überrascht vielleicht nicht, dass der Aufsatz auch Vorwürfe der kulturellen Aneignung aufkommen ließ.

Trotz dieser Kritik bleibt "The Faith of Graffiti" ein zum Nachdenken anregendes und beeindruckendes Stück Literatur, das sich mit der komplizierten Beziehung zwischen Graffiti, Kunst und Gesellschaft beschäftigt. Mailers Untersuchung von Graffiti als eine Form des künstlerischen Ausdrucks, die mit politischen und sozialen Kontexten verwoben ist, bietet den Lesern eine fesselnde Linse, durch die sie diese dynamische Kunstform betrachten können.

In seiner Rezension in der New York Times von 1974 schrieb John C. Lane: "Jon Naar und Norman Mailer haben ein bemerkenswertes und schönes Buch vorgelegt, das in Wort und Bild die Lebendigkeit und Hingabe der jungen "Writer" der U-Bahn-Wagen einfängt, jener Wandmaler, die ihr Talent in Graffiti verwandelt haben... Es sind die Fotografien in diesem Buch, die am meisten in Erinnerung bleiben."

"The Faith of Graffiti" ist nach wie vor relevant, weil es eine entscheidende künstlerische Bewegung dokumentiert, die schließlich das Stadtbild weltweit verändern und nachfolgende Künstlergenerationen beeinflussen sollte. Es dient auch als Zeitkapsel, die den Geist der Kreativität, der Rebellion und des Selbstausdrucks einfängt, der die Graffitikultur dieser Ära prägte. Aus fotografischer Sicht handelt es sich um ein visuell fesselndes und historisch bedeutsames Buch, das einen Einblick in einen umwälzenden Moment der Kunstgeschichte bietet und zur Diskussion anregt, indem es die Leser dazu einlädt, das facettenreiche Wesen der Graffitikultur zu erkunden - und gleichzeitig zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Darstellung durch Menschen außerhalb des ursprünglichen Kerns ihrer Schöpfer anregt.

            Text Steven P. Harrington and Jaime Rojo    Fotos Sebastian Kläbsch

 

Various & Gould. Permanently Improvised

Permanently Improvised. Various & Gould, 2019

Das Wort "improvisiert" könnte zu der Annahme verleiten, dass Straßenkünstler ohne Planung arbeiten und auf ein Wunder hoffen. Various & Gould, ein in Berlin ansässiges Street-Art-Duo, sind jedoch von einem skurrilen Geist beseelt und nehmen unerwartete Ergebnisse in Kauf, doch ihr 15-jähriges Werk ist von umfassender Planung und zielgerichteter Überlegung geprägt. Sie widmen sich dem wissenschaftlichen Prozess des Experimentierens, Entdeckens und Analysierens, was sie zu einer eigenen Kategorie unter den vielen Künstlern in dieser Ära des persönlichen Ausdrucks im öffentlichen Raum macht.

Das Buch "Permanently Improvised" bietet einen Überblick über acht große Kampagnen, die das Duo von Mitte der 2000er bis Ende der 2010er Jahre an verschiedenen Orten wie Straßen, Parks und versteckten Hauseingängen durchgeführt hat. Begleitet wird dieses umfassende Werk von analytischen Essays von Stadt- und Kunstintellektuellen, Aktivisten und Experten, darunter Jan Kage, Steven P. Harrington, Toby Ashraf, Alison Young, Luis Müller Phillip-Sohn, Ilaria Hoppe, Anne Wizorek, Mohamed Amjahid, sowie einem aufschlussreichen Interview mit den Künstlern und Polina Soloveichik. Außerdem sind Bilder in situ enthalten, die es dem Leser ermöglichen, die verrückte, kryptische innere Fantasiewelt des Duos zu erleben und einen Einblick in ihre eigenwillige Herangehensweise zu gewinnen - und in die Möglichkeiten des hybriden Denkens in der Zukunft.

Various & Gould ist ein Künstlerduo, das in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts ein fester Bestandteil der Berliner Kunstszene war. Ihre Arbeit zeichnet sich durch einen gesellschaftskritischen Ansatz aus, der sich auf unkonventionelle und spielerische Weise mit Themen wie Vielfalt, Migration, technologische Innovation, Geschlechterrollen und der Definition von Arbeit auseinandersetzt. Ihre Liebe zum Papier ist offensichtlich, auch wenn es sich unter den rauen Bedingungen der Stadt als zerbrechlich erweist. Ihre handgefertigten Werke sind eine elektrisch geladene Deklaration der Hoffnung an verschmutzten Stadtmauern und umfassen mehrfarbige Patchworks aus collagierten Gesichtern, Punkt für Punkt gemalte Rasterwandbilder, lebendige Papierabgüsse von Denkmälern und große Bilder zertrümmerter Smartphones, die als Tiefdruckplatten verwendet werden.

Die erste Monografie über die Arbeit von Various & Gould ist ein mittelgroßes, gebundenes Buch mit lehrreichen und anschaulichen Bildern ihrer Werke, die illegal auf der Straße platziert wurden, im Atelier entstanden sind, in Galerien präsentiert werden und in einem Fall auf öffentlichen Skulpturen von Marx und Engels aus Pappmaché bestehen. Die Arbeiten werden mit aufrichtiger Gelehrsamkeit und Humor präsentiert, selbst während des Entstehungsprozesses, der Interaktion mit der Öffentlichkeit und der Zersetzung durch natürliche Einflüsse.

Die Kampagnen auf der Straße sind mit dem Wissen um Politik, Geschichte und soziale Kommentare gestaltet und vermitteln dem Betrachter eine größere Wertschätzung für die stammesähnliche Mentalität, die die Menschen unter der Fassade der Höflichkeit besitzen - ein trockenes Holz, das darauf wartet, in Flammen aufgehen zu können. Beispielsweise wurden im Rahmen der Kampagne "Wanted Witches" 13 Porträts moderner Pioniere in gesellschaftspolitischen Fragen mit Phosphor bemalt und die Betrachter aufgefordert, ein Streichholz an ihnen anzuzünden, wodurch die öffentliche Interaktion über den uns vertrauten Rahmen hinausging. Die sorgfältig geplante und ausgeführte Installation auf den Straßen der Stadt hat das heiligengleiche Opfer von Menschen, die uns vorausgehen und manchmal als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, kraftvoll in Szene gesetzt - sei es im wörtlichen Sinne oder vielleicht durch feindselige Medien und politisierte Rhetorik.

Einem Großteil der Arbeiten von V&G liegt eine Untersuchung der Identität zugrunde, ihrer Formbarkeit, ihrer Flüchtigkeit und ihrer wahrgenommenen Relevanz in gesellschaftlichen Schichten. Viele Projekte meditieren über unser flexibles Selbst, wie z. B. Identikit, das Persönlichkeiten und Schlüsselwörter austauscht, um Spannungen darzustellen und Assoziationen zu untersuchen; St. Nimmerlein, das sich über die willkürliche Macht der Heiligsprechung mit fiktiven Persönlichkeiten lustig macht, die es sicher nicht verdienen; und "Face Time", eine dadaistische Studie, die die Ähnlichkeiten und Merkmale vieler Menschen zu unglaubwürdigen, aber vertrauten Glitch-Menschen kombiniert. In der frühen Kampagne "Rabotniki" werden Körper, Teile, Geschlechter, Klassen und Identitäten auf eine handgemachte, herzbewusste Art und Weise vermischt und angepasst.

Ihr einzigartiger Ansatz ist das Schneiden und Kleben mit Weizenstärkekleister, eine Improvisationstechnik, die Entdeckungen, Einsichten und Humor zulässt. Das lässt sich gut auf ihre respektierte zeitgenössische Kunstpraxis übertragen. "Permanently Improvised" ist eine Hommage an V&Gs einzigartige Herangehensweise an die Street Art und ihren historischen Beitrag zur Berliner Straßenkunstszene und darüber hinaus.

            Text: Steven P. Harrington and Jaime Rojo    Fotos: Sebastian Kläbsch

Martha Cooper, Ninja K & 1UP Crew. One Week with 1UP

One Week with 1UP. Martha Cooper, Ninja K & 1UP Crew, 2018

"One Week with 1UP" ist ein adrenalingeladener Ritt durch die Berliner Graffiti-Szene, der den Geist der Rebellion einfängt, der dieser Kunstform seit ihren Anfängen innewohnt. Das Buch ist das Ergebnis eines zufälligen Treffens zwischen der erfahrenen Fotojournalistin und Ethnografin Martha Cooper und der berüchtigten Berliner Graffiti-Crew 1UP. Zusammen mit der Fotografin Ninja K nimmt Cooper die Leser mit auf einen verborgenen Weg durch die Straßen Berlins, wo die 1UP-Crew verschiedene Techniken und Plattformen nutzt, um sich ihren Weg zum Ruhm zu malen.

Diese moderne Paarung fängt den widerspenstigen Geist des Graffiti der letzten 50 Jahre ein und bringt ihn selbstbewusst in die 2010er Jahre. Die Fotografin, die die Szene seit den 1970er Jahren dokumentiert, folgt 1UP, einer der bekanntesten Graffiti-Crews in Berlin, um ihren Prozess, ihre Technik und das endgültiges Ergebnis festzuhalten. Coopers Erfahrung mit dem Aufschwung von Graffiti in New York in den 70er und 80er Jahren macht sie zur idealen Person, um den aktuellen Stand der Szene zu dokumentieren: Sie spielt die Rolle einer Graffiti-Seherin aus der Vergangenheit und erkennt die gleiche Leidenschaft in der heutigen Jugend, die neue Technologien und Techniken einsetzt, um an die Wand zu bringen.

Über Dächer rennen, sich von Wänden abseilen, sich durch Zäune ducken, Treppen hinunterrennen - die 1UP-Crew plant jede Mission gründlich und gibt sich große Mühe, sie auszuführen. Das Buch bietet einen seltenen Blick hinter die Kulissen der Berliner Graffiti-Szene im 21. Jahrhundert, einer Stadt, die die Bohemiens und Rebellen umarmt, die weite Teile ihres Stadtbildes umgestaltet haben und Berlin damit zu einer de facto Hauptstadt der Subkultur gemacht hat, vor allem unter den jungen Leuten.

Coopers langjährige Erfahrungen als Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin ermöglichen einen offenen und ungefilterten Blick durch die Linse.  Sie halten das Buch auf dem Boden der Tatsachen, ohne ins Heroisierende abzugleiten, sondern fangen die Energie und Aufregung der verbotenen Aktionen der 1UP-Crew ein. Obwohl ohne Worte erzählt es eine Geschichte durch Bilder von Hingabe, Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Tapferkeit.

"Illegale Graffiti sind immer noch eine Art Wettstreit zwischen den Writern auf der einen und den Cops auf der anderen Seite. Writer, die verlieren, können ins Gefängnis gehen", schreiben Cooper und Ninja K im Nachwort. "Der Erfolg wird daran gemessen, dass die Werke an Wänden oder Zügen angebracht werden. Uns schien es bei manchen Aktionen mehr um den Nervenkitzel zu gehen als darum, ein cooles Stück zu malen - je höher die Gefahr, desto höher die Punktzahl, wobei 1UP in der Regel die Nase vorn hatte."

Das Buch regt vielleicht unbeabsichtigt dazu an, die Auswirkungen von Graffiti auf Kunst, Vandalismus, Branding sowie den öffentlichen und persönlichen Raum zu untersuchen. Neben den offensichtlichen und beeindruckenden visuellen Ergebnissen beleuchtet der Eindruck einiger dieser Exkursionen die Rolle von Graffiti in der modernen Gesellschaft und ihre Beziehung zur Stadt und zum privaten/staatlichen Eigentum. Die Fotos werden von einem Tagebuch mit Erfahrungen, Meinungen und witzigen Beobachtungen begleitet. Dieses Katz-und-Maus-Abenteuer mit der Obrigkeit ist aufrichtig, satirisch und in seinem Humor sogar sadistisch. Manchmal erreichen die psychologischen Planungen und Theorien militärische Dimensionen, und dann erinnert man sich wieder daran, dass es hier nur um Malerei geht.

"Auf geht's! 10 Writer, 3 “Checker”, 2 Videofilmer und 2 Fotografen rennen die Treppe zum Zug hinunter, während die Fahrgäste fassungslos zusehen."

Manche mögen die unkonventionelle Kunst der 1UP-Crew darin sehen, physische Sicherheit und soziale Grenzen zu überschreiten, und das Buch gibt einen einzigartigen Einblick in ihre Denkweise; hier wird nach dem Prinzip der Solidarität gearbeitet, bei dem jedes Mitglied dazu beiträgt, den Erfolg der Mission und die Sicherheit aller zu gewährleisten. "One United Power steht für Einheit", heißt es im Vorwort, "ohne individuelle Namen und vor allem ohne Egoismus." Diese Philosophie spiegelt den Glauben der Crew an Zusammenarbeit und Teamwork wider, was in einer Kunstform, die sich durch individuellen Ausdruck auszeichnet, eher ungewöhnlich ist.

"Das Zusammensein mit der Crew gab uns einen tiefen Einblick in die Werkzeuge, Techniken, Motivationen und Persönlichkeiten der heutigen Graffiti-Writer", sagen die Fotografen. "Wir fühlten uns privilegiert, weil wir ihnen dabei zusehen durften, wie sie sich akribisch auf einige ihrer komplizierten Aktionen vorbereiteten. Wir hatten oft das Gefühl, in einem Spionagefilm zu sein, mit Brennertelefonen, Masken, verschlüsselten Nachrichten und einem verborgenen Netz von Menschen, die zusammenarbeiten, um die Sicherheit aller zu gewährleisten.

One Week with 1UP” ist ein Muss für jeden, der sich für den aktuellen Stand von Graffiti und Street Art interessiert. Es bietet einen außergewöhnlichen Einblick in die Welt einer besonders berüchtigten Graffiti-Crew und dokumentiert ihre Aktionen in atemberaubenden Details. Es ist ein Buch, das den Lesern eine neue Wertschätzung für die Graffitikunst und ein tieferes Verständnis für die Kultur, die sie umgibt, vermitteln kann.

            Text: Steven P. Harrington and Jaime Rojo   Fotos Sebastian Kläbsch

ICY and SOT. Let Her Be Free

Let Her Be Free. ICY and SOT, 2016

"Let Her Be Free" beschreibt die Reise der iranischen Brüder Icy und Sot als Straßenkünstler und die Entwicklung ihrer Arbeit im Laufe des Jahrzehnts von Mitte der 2000er bis Mitte der 2010er Jahre. Das Buch zeigt den Aktivismus der Brüder durch ihre Kunst und ihre Bemühungen, die Aufmerksamkeit auf viele wichtige soziale und politische Themen zu lenken, darunter Menschenrechte, die politische und persönliche Autonomie der Frauen, Umweltgerechtigkeit, Migration, Waffengewalt, Kapitalismus, die Auswirkungen des Krieges, Obdachlosigkeit, Polizeibrutalität, der palästinensisch-israelische Konflikt, Meinungsfreiheit und Kinderschutz.

Aufgewachsen in Tabriz, Iran, nahmen Icy und Sot als Teenager an einer Straßenkultur teil, die Skateboarding und eine langsam aufkeimende Straßenkunstszene umfasste, was vielleicht ihren Wunsch nach Selbstdarstellung und persönlichem Aktivismus nährte. Sie begannen, mit verschiedenen Techniken und Stilen an Orten wie Teheran zu experimentieren, wo lokale Künstler wie A1one, Magoi, CK1 und Bigchiz die Straßenkunstszene dominierten und andere inspirierten. Als die Nachrichten über das aufkommende Wachstum der Straßenkunst im Westen im Internet an Bedeutung gewannen, wurden die Brüder auch von internationalen Straßenkünstlern wie Banksy beeinflusst, zu denen sie als Vorbilder aufschauten.

Sie verließen ihr Heimatland und zogen nach Brooklyn, New York, um ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln und dank Ausstellungen und Presseberichten eine breitere Anerkennung als Straßenkünstler zu erlangen. Ihre Arbeiten wurden durch die Verwendung von Schablonen bekannt, die oft mit eindeutigen politischen Botschaften unterlegt waren. In den nächsten zehn Jahren reisten Icy und Sot durch die ganze Welt und stellten ihre Werke in Ländern wie den USA, Deutschland, China, Norwegen, Italien und Australien aus. Sie arbeiteten mit anderen Künstlern zusammen, kletterten an Wänden hoch, hingen von Leitern, fuhren mit Skates durch die Straßen und experimentierten mit verschiedenen Materialien und Techniken, um ihre Kunst zu schaffen - die zunehmend auf Street-Art-Festivals und in Galerien zu sehen ist.

Die Arbeiten von Icy und Sot wurden oft mit denen von Banksy verglichen, vor allem im Hinblick auf ihre gemeinsame Nutzung der Kunst als Stimme für die Stimmlosen. Sie nutzen ihre Straßenkunst, um sich der Zensur zu widersetzen, akzeptierte konventionelle Weisheiten in Frage zu stellen und auf Machtmissbrauch aufmerksam zu machen, wobei sie komplexe soziale und politische Themen sowohl indirekt als auch direkt zum Ausdruck bringen können.

Das Buch ist mit über 200 Farbbildern gefüllt, die die Kunst der Brüder dokumentieren und ihre Arbeit im Iran und in Städten auf der ganzen Welt zeigen und eine Retrospektive ihrer Entwicklung als Straßenkünstler in den ersten zehn Jahren bieten. "Let Her Be Free" wird von Jess X Chen vorgestellt und enthält ein Nachwort von Jaime Rojo und Steven P. Harrington, den Gründern von Brooklyn Street Art. Das Buch enthält auch Zitate von prominenten Straßenkünstlern und Zeitgenossen, darunter John Fekner, Faith47, Niels "Shoe" Meulman, Hugo Kaagman und Adam Neate. Es ist ein eingehender Blick auf die Arbeit der Brüder, die zunächst für ihre schrille, aktivistische und menschliche Stimme auf der Straße bekannt wurde und wahrscheinlich eine neue Generation von Künstlern inspiriert hat, die auf die Themen aufmerksam machen wollen, die ihnen wichtig sind.

            Text: Steven P. Harrington and Jaime Rojo    Fotos: Sebastian Kläbsch

 

Martha Cooper, Spray Nation. 1980s NYC Graffiti Photographs.

Spray Nation. 1980s NYC Graffiti Photographs. Martha Cooper 2022

Spray Nation ist eine großzügige Sammlung neu entdeckter Fotografien, die New Yorks goldenes Graffiti-Zeitalter dokumentieren, und stammt von einer der berühmtesten visuellen Dokumentarfilmerinnen. Mit Hunderten von Seiten neu veröffentlichter Fotografien aus den Archiven, aus denen auch ihr Buch Subway Art with Henry Chalfant stammt, zeigt das Buch bisher unveröffentlichte Bilder von Tags, Throw-ups, ganzen Autoteilen, Porträts von Graffiti-Writern und sogar einige prominente Aufnahmen aus jenen glücklichen Tagen, als Graffiti in der Galerie- und Ausgehszene im New York der frühen 1980er Jahre zum ersten Mal Fuß fasste. Zusammen mit dem Graffiti-Historiker Roger Gastman hat Martha Cooper ihre Tausende von 35-mm-Kodachrome-Dias durchforstet, um ihre Fotosammlung neu zu bewerten.

Wenn man bedenkt, wie einflussreich die Graffiti-Szene in den Jahrzehnten nach dieser ersten Explosion in den New Yorker U-Bahn-Zügen weltweit wurde, bestätigt das, was sie hier aufdecken, nur die grundlegenden Praktiken und Stile dieser ersten Graffiti-Writer. Diese (meist) jungen Sprayer und Marker bemalten Züge illegal und heimlich, um sich in einer oft chaotischen, geschäftigen Stadt, die sie zu übersehen schien, ein visuelles Territorium zu sichern. Sie sprühten, um für ihren Namen zu werben, Territorium zu beanspruchen, neue Ideen zur Diskussion zu stellen und schließlich ihre Altersgenossen mit Kunststücken zu beeindrucken, die ihre Sportlichkeit und ihr Geschick, Gefahren zu entgehen, unter Beweis stellten.

"Marthas Fotos haben die Erzählungen der Graffiti-Writer öfter bestätigt, als ich zählen kann", schreibt Gastman in seiner Einführung. "Sie sind wie dieses verrückte Highschool-Jahrbuch. Folglich ist Cooper derjenige, den jeder Graffiti-Writer, -Fan, -Sammler und -Forscher unbedingt sehen will."

Wie der Titel schon andeutet, verbreitete sich die Praxis des Graffiti-Schreibens in Städten im ganzen Land, und diese neuen Aktionsaufnahmen von Wänden und bemalten U-Bahn-Wagen wurden ausgewählt und digitalisiert, um die Bandbreite der Stile zu zeigen, die bald folgen sollten. Als ausgebildeter Ethnograf und professioneller Nachrichtenfotograf präsentiert Cooper eine Stadt so, wie sie ist, ohne unnötige Schnörkel oder anmaßende Erzählungen.

Die Essays von Roger Gastman, Steven P. Harrington, Miss Rosen, Jayson Edlin und Brian Wallis bezeugen die Bedeutung der sich entwickelnden Graffiti-Szene und die Rolle von Coopers Bestreben, diese flüchtige Welt mit einer einzigartigen Vision zu bewahren.

"Martha fotografierte gemalte Züge und B-Boys, weil sich damals kaum jemand die Mühe machte, dies zu tun. Sobald die Leute das mitbekamen, sah sie ihre Aufgabe als erfüllt an", schreibt der Graffiti-Autor und Historiker Jayson Edlin in seinem Essay. "U-Bahn-Graffiti starb allmählich aus, während die Straßenkunst aus ihrer Asche aufstieg. Desinteresse, Drogen und AIDS dezimierten den kulturellen Höhepunkt von New York City, seine hellsten Sterne starben, bevor ihre Werke siebenstellige Summen erreichten - Leben, die so vergänglich waren wie unsere Werke in der Bahn."

            Text: Steven P. Harrington & Jaime Rojo/BrooklynStreetArt.com   Fotos Eveline Wilson

 

Ray Mock. BANKSY IN NEW YORK

BANKSY IN NEW YORK. Ray Mock. 2019

Im Oktober 2013 "beschenkte" der britische Straßenkünstler Banksy New York City 31 Tage lang mit täglich neuen Überraschungen auf den Straßen aller fünf Stadtbezirke und bezog so die Bürgerinnen und Bürger in seine selbst gestaltete Künstlerresidenz ein. Es ist Tradition, dass Graffiti-Writer in New York behaupten, sie seien "all-city", und der Autor Ray Mock hat die Tags, Fill-ins und Pieces von Hunderten von Writern als Ein-Mann-Dokumentarist von Graffiti beim Carnage NYC Publishing erfasst. Hier verfolgt er die täglichen Bewegungen von Banksy durch die Stadt, um die üblichen, ungewöhnlichen und oft witzigen Aktionen eines der berühmtesten, aber anonymen Straßenkünstler und seines mutmaßlichen Teams von Assistenten, Schauspielern und Performern zu dokumentieren. Jede Installation hat eine Geschichte, die sozial oder politisch ist, oft mit einem tiefen Sinn für Kritik.

Banksy in New York ist gut illustriert mit Aufnahmen der seltsamen und interessanten Installationen seiner "Better Out Than In"-Show, die über die sozialen Medien enthüllt wurden. Er fängt auch die Szenen ein, die manchmal zu einem Chaos führten, als sich in den sozialen Medien herumsprach, dass ein neuer Banksy aufgetaucht war. Für einen New Yorker, der stolz auf sein Revier ist und die zunehmende Popularität der Straßenkunst genau beobachtet, untersucht Mock die verschiedenen Installationen und versucht, die Kunst und die Ereignisse aus erster Hand zu beschreiben, damit der Leser das Gefühl hat, dass er versteht, wie es war, dabei zu sein.

Das Buch fängt ein, wie das Banksy-Team mit Absicht, Witz und Schlagfertigkeit einen neuen Standard in der Welt der Straßenkunst setzt, indem es eine direkte Verbindung zwischen seiner digitalen Präsenz und den parallelen physischen Kunstwerken herstellt, die eine stadtweite Schnitzeljagd, Puppen, Theater, Performance, Überraschungen, Rindfleisch auf der Straße und ein paar Straßenschlachten umfassen. Es scheint, dass Mock nach einer Karriere als Graffiti-Jäger ebenfalls überrascht und verwirrt ist.

"In den letzten Jahren habe ich hauptsächlich Graffiti fotografiert, vorzugsweise schmutzige, mit Tags versehene Türen, mannshohe Fill-Ins, Güterzüge und illegale Pieces in verlassenen Gebäuden oder entlang von Bahngleisen", sagt er in der Einleitung zu Banksy in New York. Darin wird die "Residenz" kurz, aber in vielerlei Hinsicht umfassend festgehalten, einschließlich Details wie die Verunstaltung seiner Werke, ihre Entfernung und die Reaktionen von Gebäudebesitzern, Nachbarn, Banksy-Fans und -Feinden gleichermaßen.

            Text: Steven P. Harrington & Jaime Rojo/BrooklynStreetArt.com        Fotos Eveline Wilson

 

Henry Chalfant & James Prigoff. SPRAYCAN ART

SPRAYCAN ART. Henry Chalfant and James Prigoff. 1987.

Der legendäre SUBWAY ART-Bildband von Martha Cooper und Henry Chalfant bereitete Graffiti-Writing erstmals zusammenfassend auf und dokumentierte das anfängliche simple Namewriting sowie die folgende Entwicklung der Motive zu Masterpieces auf der New Yorker Subway. Neben Filmen wie Style Wars, Wild Style! oder Beat Street exportierte das Buch das zuvor lokal begrenzte Phänomen und gab so den Startschuss für eine globale Graffiti-Bewegung.

Das drei Jahre später erschienene SPRAYCAN ART von 1987 zeigt die Auswirkungen, die der Graffiti-Boom weltweit zwischenzeitlich hatte. Henry Chalfant und James Prigoff legen ihr Augenmerk dabei klar auf meist aufwändig gestaltete legale New Yorker Wandproduktionen, auch von bekannten Train-Writern wie LEE, SEEN, T-KID oder REVOLT, welche bei SUBWAY ART noch keine große Rolle spielten. In diesen Hall of Fame-Pieces, Murals und Auftragsarbeiten stehen figürliche Motive mehr im Vordergrund und der Fokus liegt auf den mittlerweile erreichten hohen handwerklichen Fähigkeiten der Writer*innen.

Neben den Five Boroughs wird auch das Geschehen in amerikanischen Städten wie Philadelphia, Chicago, San Francisco oder Los Angeles beleuchtet. Obgleich die New Yorker Writer*innen stilprägend für die erste Graffiti-Welle waren, zeigen sich vor allem im europäischen Raum bereits wenige Jahre später eigenständige Styles in London, Amsterdam oder Paris. Neben den Schriftzügen prägen traditionelle Motive wie Comic-Figuren, Subway-Züge oder Bodé-Character dennoch ganz nach dem Vorbild aus Übersee die meisten Bilder.

SPRAYCAN ART dokumentiert nicht nur die schnelle Ausbreitung der Writing-Bewegung von Berlin bis Sydney und Cleveland bis Barcelona Mitte der 1980er Jahre, sondern zeigte den New Yorker Begründer*innen, dass ihre Kultur nicht lediglich nachgeahmt, sondern adaptiert, verstanden und weiterentwickelt wurde. Zwei Jahre bevor Graffiti auf den Subways des Big Apples zum Erliegen kommen sollte, präsentiert der Bildband Werke auf Wänden als nun fast gleichwertige Form von Graffiti.

            Text Sascha Blasche Fotos Sebastian Kläbsch

EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg Graffiti History.

EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg Graffiti History. 2021

Die Graffiti-Geschichte einer Stadt aufzubereiten ist ein Großprojekt. Obwohl in vielen europäischen Großstädten die ersten Graffiti im Stil des New Yorker Vorbilds Anfang der 1980er Jahre auftauchten, wurden diese, wenn überhaupt, nur spärlich dokumentiert. Die vergleichsweise hohen Kosten der analogen Fotografie dieser Zeit führten oft dazu dass nicht einmal die Urheber*innen ihre ersten Gehversuche festhielten. Offizielle Publikationen, die sich der Thematik widmen, sind rar, konnten doch die meisten Außenstehenden wenig mit den Bildern anfangen.

Erst in den frühen 1990er Jahren begannen Akteur*innen aus gesammelten und getauschten Fotos Szene-Magazine, sogenannte graue Litertatur, zu veröffentlichen. Für das 2021 erschienene EINE STADT WIRD BUNT.-Buch haben sich vier dieser Herausgeber zusammengetan und die ersten 20 Jahre der Geschichte von Graffiti in Hamburg nachgezeichnet. Da jeder von Ihnen seit über 30 Jahren in der städtischen Szene aktiv ist, konnten nicht nur über 1300 teils exklusive Fotografien zusammengetragen werden, sondern auch Zeitzeug*innen und szenekundige Expert*innen Texte beisteuern, die das Phänomen in einen größeren sozialen, kulturellen und stadtgeschichtlichen Kontext setzen.

Das Ergebnis ist eine akribisch genau recherchierte Chronik, die in Umfang und Detailliertheit Maßstäbe setzt. Alle relevanten Orte und Vertreter*innen der Szene werden umfassend vorgestellt und auch Akteure ohne direkten Hintergrund im Writing wie OZ, ERIC oder Peter-Ernst Eiffe, sowie politische Graffiti aus der Punk-Ära werden thematisiert.

Das Buch beinhaltet zudem diverse Fotos der Akteur*innen, Zeitungsartikel und Konzertflyer der in Europa eng mit Graffiti verknüpften Hip Hop-Bewegung. Während graue Literatur vor allem szeneintern herausgegeben wurde, adressiert EINE STADT WIRD BUNT ein breiteres Publikum auch ohne großes Vorwissen.

            Text Sascha Blasche Fotos Sebastian Kläbsch

 

Martha Cooper & Henry Chalfant. SUBWAY ART

SUBWAY ART. Martha Cooper & Henry Chalfant. 1984.

Martha Cooper war die erste festangestellte Fotografin der New York Post und fing für die Tageszeitung seit Mitte der 70er Jahre alltägliche Situationen auf den Straßen der Metropole ein. Als sie 1979 spielende Kinder in der Bronx fotografiert, fällt ihr ein kleiner Junge mit einem Skizzenbuch auf. Es ist HE3, ein Graffiti-Writer, der sich bereitwillig von ihr vor einem seiner Werke ablichten lässt. Als er anbietet sie DONDI, einer Szenegröße, vorzustellen, beginnt ihr Einstieg in die nach außen hin eher abgeschottete Graffiti-Welt.

In den folgenden Monaten erhält Cooper Einblick in die Szene, lernt unzählige Writer*innen kennen und hält hunderte der bunt bemalten Subways auf Film fest. So lernt sie auch Henry Chalfant kennen, der ebenfalls als Außenstehender die Werke der jungen Akteur*innen dokumentiert und beste Kontakte in die Szene hat. Anders als ihr Kollege, der die gesprühten Pieces möglichst frontal im Bahnhof stehend ablichtet, versucht Martha Cooper die Züge im urbanen Kontext einzufangen. Gemeinsam planen sie die Fotografien dieses einzigartigen Phänomens zusammenzuführen und in einem Buch zu veröffentlichen: ART TRANSIT.

Da jedoch kein amerikanischer Verlag bereit ist das Buch umzusetzen, finden die beiden Fotografen erst 1982 auf der Frankfurter Buchmesse mit Thames & Hudson einen Publisher, der sich dem Projekt annimmt. Zwei Jahre später erscheint ihr Werk als SUBWAY ART und wird der erste Bildband, welcher sich den bemalten Subways in New York widmet. Zusammen mit den Filmen Style Wars (1983), Wild Style! (1983) und Beat Street (1984) erreicht das Buch und somit auch Graffiti erstmals ein internationales Publikum.

 

 

Jugendliche auf der ganzen Welt beginnen so Mitte der 80er Jahre nach dem New Yorker Vorbild ausgedachte Namen als Pieces zu gestalten und auf Wände und Züge zu malen.

SUBWAY ART ist nicht nur Dokumentation, sondern auch Anleitung und prägt den Archetypen eines Graffiti-Pieces bis heute. Martha Coopers und Henry Chalfants Buch gilt weltweit als Bibel für Writer*innen.

 

            Text Sascha Blasche Fotos Sebastian Kläbsch

 

SPRAY CITY – GRAFFITI IN BERLIN

SPRAY CITY – GRAFFITI IN BERLIN 1994

Im Frühjahr 1994 fand im Rahmen des „X 94 – Junge Kunst und Kultur“-Festivals der Akademie der Künste die Ausstellung SPRAY CITY – GRAFFITI IN BERLIN statt. Das gleichnamige Buch erschien begleitend im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag und war der erste Bildband zu Graffiti in der Hauptstadt, welcher zudem auch Hintergründe und Einblicke in die Szene lieferte.

In der vorangegangenen Recherche konnten die Autor*innen Oliva Henkel, Tamara Domentat und René Westhoff (DISZ) detailliert in die Berliner Graffiti Szene eintauchen. Neben umfassenden Einführungen und Erklärungen, kommen eine Vielzahl an Akteur*innen in den zehn Kapiteln zu Wort. Szenegrößen des Westteils wie ODEM, BEN, DANE, KAGE, POET, SHEK und SKUME werden in Porträts vorgestellt sowie erstmals auch Writer*innen aus Ostberlin und einige Sprüherinnen der Hauptstadt.

SPRAY CITY ist keine Chronik, vielmehr zeigt der reich bebilderte Band einen Querschnitt an Protagonist*innen und somit den Status Quo der jungen Berliner Szene. Des Weiteren werden New Yorker Ursprünge beleuchtet, die Berliner Mauer und ihre Bedeutung für die Szene von Michael Nungesser beschrieben und LOOMIT ordnet die Stadt in einen internationalen Kontext ein. Doch auch das Spannungsfeld in dem die illegalen und legalen Werke entstehen wird erörtert: So äußern sich Vertreter der BVG, der Berliner Polizei und Bahnpolizei und Themen wie Gangkultur, strafrechtliche Folgen und Gewalt ergänzen den Inhalt.

 

Für die gesamtdeutsche Graffiti-Szene war das 1994 erschienene Buch ein wichtiger Impulsgeber. Erstmals konnte bundesweit ein Werk im Buchhandel erworben werden, das eigenständige Ausprägungen des amerikanischen Phänomens zeigte und authentisch auch für Außenstehende Graffiti nachvollziehbar darstellte. Dem Erfolg von SPRAY CITY folgten 13 weitere Bände der mittlerweile legendären GRAFFITI ART Reihe im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag.

 

 

Text Sascha Blasche      Fotos Sebastian Kläbsch

 

Gusmano Cesaretti. STREET WRITERS. A Guided Tour of Chicano Graffiti.

STREET WRITERS. A Guided Tour of Chicano Graffiti. Gusmano Cesaretti. 1975.

Die Wurzeln der globalen Graffiti-Bewegung liegen im New York der späten 1960er Jahre. Aus den einfachen Schriftzügen entwickelten sich über die Jahre erst simple, schnelle Pieces und spätestens Anfang der 1980er Jahre aufwändige, meist bunte Masterpieces auf den Zügen der New Yorker Subway. Doch schon früh gab es auch in anderen Regionen Amerikas ähnliche Formen des Namewritings.

Neben zum Beispiel Philadelphia blickt auch Los Angeles auf eine eigenständige Kultur des Schreibens von Namen im öffentlichen Raum zurück. So veröffentlichte der Fotograf Gusmano Cesaretti bereits 1975 mit STREET WRITERS – A Guided Tour of Chicano Graffiti ein dokumentarisch angelegtes Büchlein, das dem regionalen Phänomen in L.A. Aufmerksamkeit schenkte und in zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen die kryptischen Lettern und Nummern festhielt.

Die Bilder sind auf einer Tour durch Los Angeles entstanden, welche Cesaretti zusammen mit Charles „Chaz“ Bojórquez unternahm. „Chaz“ war bereits seit 1969 als plaquito / Writer in den Straßen der Stadt aktiv und klärte den Fotografen nach und nach über die Bedeutung, die Ursprünge und die Eigenheiten des sogenannten Cholo-Styles auf. So entlehnt der Stil kalligrafische Elemente aus der gotischen Schrift und die meist einfarbigen Schriftzüge sind individuelle Namen oder Gang-Namen, oftmals verbunden mit der Straßennummer, ähnlich wie im New York Writing. Der territoriale Aspekt steht bei den Chicano Graffiti im Vordergrund und die Namen wurden ursprünglich mit dem Pinsel, dann aber zunehmend mit Sprühdose und Marker angebracht.

Neben einleitenden Texten beinhaltet das Fotobuch verschiedene Regional-Kapitel, grobe Angaben zum Ort der Aufnahmen, zu den Urhebern und der Bedeutung ihrer Signaturen. Die unabhängig vom New York Graffiti entstandene Form des Namewritings erinnert an die Pixação aus São Paulo und prägt auch nach über 40 Jahren noch das Stadtbild sowie den Graffiti Style der Stadt.

 

Text Sascha Blasche Fotos Sebastian Kläbsch

 

Craig Castleman. Getting Up. Subway Graffiti in New York

Getting Up. Subway Graffiti in New York - Craig Castleman, 1982.

Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der High School of Art and Design in Manhattan unterstütze Craig Castleman Ende der 1970er Jahre seine Schüler*innen bei der Umsetzung eines Büchleins (NASTY STUFF) zu ihrem favorisierten Thema: Graffiti auf der New Yorker Subway. Angeregt durch die Arbeit an diesem für ihn neuen Thema, verbrachte Castleman die folgenden Jahre damit, das Phänomen genauer zu untersuchen. Das Ergebnis ist seine 1982 veröffentlichte Dissertation „Getting Up. Subway Graffiti in New York.“. 

Neben Andrea Nellis „Graffiti a New York“ ist das Werk eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema überhaupt. In neun umfassenden Kapiteln gibt Castleman detaillierte Einblicke in die Geschichte, Beweggründe, Erfahrungen und Herangehensweisen der New Yorker Sprüher*innen. Er beleuchtet so das für Außenstehende oft schwer nachzuvollziehende System, in dem sich die Writer*innen bewegen. Es werden nicht nur die verschiedenen Formen von Graffiti analysiert, auch wird über szeneinterne Hierarchien, Regeln und Verhaltensweisen aufgeklärt.

Auch die Antagonisten, wie die MTA (Metro Transit Authority), Polizei und Politik sowie ihre verschiedenen Vorgehensweisen und Projekte zur Eindämmung, finden sich in Getting Up wieder. Zudem stellt Castleman Organisationen wie die NOGA (Nation of Graffiti Artists) und UGA (United Graffiti Artists) vor, welche versuchten Writer*innen mit Leinwand- Arbeiten und Galerie-Shows in den Kunstmarkt einzuführen.
Während vor allem in der europäischen Forschungsliteratur zu Graffiti durch Über- und Fehlinterpretationen das Phänomen als rebellisches Aufbegehren ökonomisch, sozial und politisch marginalisierter Jugendlicher verklärt wird, gilt Getting Up durch die rein deskriptive und analytische Beschreibung von Writing auch heute noch allgemeingültiges Standardwerk zum Thema.

           Text Sascha Blasche Fotos Sebastian Kläbsch
 

Boulevard – On Trespassing and Culture No. 2 – INSTITUTION

Boulevard – On Trespassing and Culture 

No. 2 – INSTITUTION

Parallel zum wachsenden Interesse der Kunstwelt an Graffiti, Street Art und Urban Art hat auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu diesen Feldern in den letzten Jahren stetig zugenommen. Während sich in Fachbibliotheken zwar Standardwerke finden lassen, fehlen zur umfangreichen Recherche oft tiefer gehende Texte und Primärquellen. Dazu gehören seltene Ausstellungskataloge, Kleinstauflagen an grauer Literatur wie Bildbände und Szenemagazine, aber auch Texte deren Relevanz sich in der raschen Entwicklung der genannten Themenfelder gewandelt hat.

Die Herausgeber des „Boulevard“ haben sich dieser Problematik erstmals im Jahr 2019 (No. 1 - CLASSICS) angenommen. Das Magazin, welches im klassischen Format einer Tageszeitung daherkommt, ist jeweils in drei Kapitel unterteilt: TALK, REPRINT und CASES. Während die letzte Sektion ausgewählte Fotoserien zeigt, handelt es sich bei dem zweiten Teil um bereits anderweitig publizierte wissenschaftliche Texte, die ins Englische übersetzt, oftmals durch einen Kommentar der Autor*innen ergänzt, nun erneut veröffentlicht werden. Der TALK-Part funktioniert als Kulturjournal, dass auf aktuelle Events, Publikationen, Ausstellungen und Projekte hinweist, aber auch Interviews beinhaltet.

In der aktuellen Ausgabe (No. 2 – INSTITUTION) diskutieren Katia Hermann und Pietro Rivasi die Herausforderungen und Möglichkeiten von Ausstellungen zum Thema Graffiti.

Neben Ben Brohanszki und dem Graffitimuseum kommen des weiteren Jasper van Es und Good Guy Boris zu Wort, welche bereits 2017 die wegweisende #VIRALVANDALS Ausstellung in Eindhoven kuratierten. Neu aufgelegt werden im REPRINT-Teil Texte von Lene ter Haar, Harald Hinz, Orestis Pangalos, Patrick Hagopian sowie Bernd Dollinger und Bettina Hünersdorf. CASES zeigt Fotoserien von Dunja Janković, Bill Daniel, Emanuel Roth und Bilder des Hamburger Trainwriters RAGE.

            Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche

KUNSTFORUM International Bd. 260, Mai-Juni 2019

KUNSTFORUM International Bd. 260, Mai-Juni 2019 

Im Juni 1982 widmet das KUNSTFORUM International dem Thema Graffiti einen kompletten Band (Bd. 50 „Wilde Bilder. Graffiti und Wandbilder“). Der vage Begriff umfasst damals sowohl antike Erinnerungsschriften, politische Murals, Fassadenkunst, ironische Sprüche und einige weitere Formen teils illegaler Interventionen im Stadtraum. Klassisches Graffiti-Writing, dass seit einer Dekade das New Yorker Stadtbild prägt und in ähnlichen Formen in Philadelphia und Los Angeles schon seit den 1960ern existiert, wird mit drei Fotos und einer halben Seite Text eher beiläufig erwähnt. In den Folgemonaten sollte Writing durch Filme und Bücher jedoch weltweit in westliche Gesellschaften getragen werden und zu einer globalen Bewegung reifen.

Nach 37 Jahren ist Graffiti im Mai 2019 erneut übergreifendes Thema des Kunstmagazins.

Doch ist dieses Mal klarer definiert was mit dem Titel gemeint ist: Writing nach dem New Yorker Vorbild und gegebenenfalls daraus entstehende Kunst. So wird Writing nicht lexikalisch erklärt und ein Glossar an Szenebegriffen anbei gegeben, sondern Larissa Kikol versammelt große und kleine Namen der Szene und gibt einen Status Quo von Graffiti in Mitteleuropa.

Aus kunsthistorischer Perspektive werden ausgewählte Akteur*innen vorgestellt und ihr Schaffen analysiert und eingeordnet. Dazu gehören CLINT176 (Berlin), SAEIO (Paris), SUSIE (Berlin) und HAMS (Marseille). So werden aber auch die Städte Berlin als stilistischer Schmelztiegel der heutigen Szene und München als umfassend dokumentiertes Beispiel für europäische Frühwerke Anfang der 1980er Jahre porträtiert.

Eine umfangreichere Definition des Graffiti-Begriffs (Stadtmarketing und Urban Art) wird in dem Text von Robert Kaltenhäuser und Georg Barringhaus behandelt.

In umfangreichen Interviews geben zudem Henry Chalfant, Martha Cooper, RAP, 1UP und der Graffiti-Anwalt Dr. Patrick Gau sowie MOSES & TAPS™ Einblick in ihre Arbeit.

          Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche
 

Jürgen Große. URBAN ART PHOTOGRAPHY

URBAN ART PHOTOGRAPHY - Jürgen Große, 2008

Berlin gilt heute als Weltmetropole für Graffiti, Street Art und Urban Art. Während sich in den späten 1980er Jahren das Ende der goldenen Ära im Graffiti-Mekka New York abzeichnete, läutete der Fall der Mauer ein neues Zeitalter in Europa ein. Keine zehn Jahre nachdem vor allem Motive nach dem Vorbild aus Übersee in Berlin das Stadtbild dominieren, beginnt sich ein neues, artverwandtes Phänomen zu etablieren. Zeuge und Beobachter der aufkommenden Urban Art ist Jürgen Große, der damals bereits seit zwei Dekaden Kunst im öffentlichen Raum fotografiert. Neben Adbusting, skulpturalen Werken und oft zufällig erscheinenden Kuriositäten, dokumentiert er auch den Einsatz neuer Stilmittel wie Schablonen, Sticker, Plakate und vor allem Streichfarbe. Diese Werkzeuge verändern die Formensprache der Bilder, ermöglichen das Malen an zuvor schwer zugänglichen Stellen und in teils monumentalen Ausmaßen.

Abb. 211-1 – 212-2 Idee Orion

Das Spielfeld von Akteuren wie NOMAD, SWOON, BANKSY oder Brad Downey sind vorrangig die Ostbezirke der Hauptstadt, die mehr öffentlich zugängliche Freiflächen bieten. Doch Große erforscht auch Baustellen, leerstehende Gebäude, „Hidden Places“ und Hinterhöfe, die zunehmend ebenbürtige Leinwände für die Arbeiten von AKIM, 6, SPAIR, ZAST, KRIPOE, LOST SOUL und IDEE sind. Akribisch genau ist jeder Aufnahme Ort, Monat und Jahr hinzugefügt, sodass auch noch heute ein Vorher-Nachher-Abgleich möglich ist.

Abb. 357 – 364 Zast, Atari, Bus126, Akim, Zast

Urban Art Photography ist eine einmalige Dokumentation, welche die Anfänge einer Kunstform begleitet, die das Gesicht der Stadt heute prägt wie nie zuvor. Jürgen Großes Bildsprache fängt nicht nur die Werke ein, sondern bildet auch immer den Kontext des Stadtraumes mit ab. Dieses Zeitzeugnis erlaubt den Blick auf ein Berlin der 2000er Jahre, dass wie die meisten Arbeiten so heute nicht mehr existiert.

            Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche

AMSTERDAM ON TOUR. The early signs of Dutch graffiti.

AMSTERDAM ON TOUR. The early signs of Dutch graffiti. 2019.

 

Als die New Yorker Tradition des Graffiti Writing Anfang der 1980er Jahre durch Filme und Bücher wie Subway Art, Wild Style! und Style Wars weltweit Aufmerksamkeit und vor allem Nachahmer fand, war das sogenannte Namewriting vielerorts ein gänzlich neues Phänomen.

Amsterdam nimmt in Europa diesbezüglich jedoch eine Sonderrolle ein. Zwar finden sich auch hier in den siebziger Jahren Parolen, Sprüche und Kritik zu aktuellen politischen Themen wie dem Ausbau der Metro oder der städtischen Wohnungspolitik, durch das Aufkommen der Punkbewegung ändert sich aber die Intention „vom Aktivismus zum Egoismus“. Da die illegal angebrachten Slogans oft jahrelang in der Stadt zu sehen sind, nutzen vor allem Punkbands und deren Fans diese Tatsache aus um mit ihren Namen im Stadtbild zu werben.

In AMSTERDAM ON TOUR zeichnet der Writer AGAIN nach, wie aus dieser Bewegung das Schreiben von individuellen Pseudonymen einer neuen Generation hervorgeht. Denn bereits 1979, Jahre bevor Graffiti Writing aus Amerika nach Europa kommt, ist Amsterdam übersät von den Signaturen von THE DUMB, KODIAK STONE, VENDEX oder N-POWER.

Parallel zur Entwicklung der Tags zu teils aufwändigen kalligrafischen Schriftzügen, oft kombiniert mit figurativen Elementen, greifen Plakat- und Schablonenkünstler wie Hugo Kaagman und Diano Ozon zudem die Bildsprache und den Stil der Street Art vorweg.

Als ab 1983 die Yaki Kornblit Galerie nicht nur New York Graffiti ausstellt, sondern auch Writer wie SEEN, FUTURA, BLADE und ZEPHYR einlädt, hinterlassen diese ihre Spuren in der Stadt und beeinflussen die bereits existierende Szene. Locals wie SHOE, DELTA und JEZIS adaptieren die Form der Pieces und prägen mit ihren Styles seit Mitte der 80er Jahre entscheidend den Stil der aufkommenden Graffitiszene in Mitteleuropa.

Das Buch dokumentiert mit einmaligen historischen Fotos und Interviews den Übergang zweier unabhängiger Arten des Namewritings im Amsterdam der achtziger Jahre.

       Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche

Ralf Gründer. Verboten: Berliner Mauerkunst

Verboten: Berliner Mauerkunst - Ralf Gründer, 2007


Die am 13. August 1961 von der DDR errichtete Berliner Mauer trennte fast 30 Jahre lang die heutige Hauptstadt Berlin in Ost und West. Von 1975 bis zum 9. November 1989 bestand der sogenannte „antifaschistische Schutzwall“ aus den noch heute geläufigen 3,60m hohen und 1,20m breiten Mauersegmenten, die durch eine Betonröhre nach oben hin begrenzt wurden.

Obgleich die Mauer auf DDR-Boden stand und somit auch einige Meter auf Westseite offiziell Ost-Territorium waren, wurde die Grenze durch Soldaten nur von Osten aus kontrolliert. Diese Tatsache ermutigte in den ersten Jahren einige politische Aktivisten ihre Kommentare, Anklagen und Nachrichten mit Sprühdose und Pinsel von Westen auf die Mauer zu schreiben. Auch Touristen nutzten die freien Flächen und brachten Erinnerungsgraffiti und politische Sprüche an. Da dies von Westseite nicht geahndet und von der Ostseite nicht übertüncht wurde, zeigte die Grenzmauer um 1980 ein Sammelsurium individueller Spuren ihrer Besuchenden, die vor allem Spruchgraffiti auf ihr hinterließen.

Ralf Gründers „Berliner Mauerkunst“ hat die Folgejahre im Fokus, in welchen lokale und internationale Künstler wie Christophe Bouchet, Theirry Noir, Indiano, Kiddy Citny, Richard Hambleton oder Keith Haring die Wand als ihre Leinwand entdeckten. Anders als viele Fotobände zur Berliner Mauer zeigt das Buch nicht die Bilder eines Fotografierenden, sondern Gründer trägt Archive diverser Mauerfotografen der 80er Jahre zusammen, ordnet ein und liefert umfassende Hintergründe zu den Werken. Der Autor recherchierte zudem Archivmaterial von Aktionskünstler*innen, Musiker*innen und Filmemacher*innen um möglichst detailgetreu nachzuzeichnen, welche Mauerkunst wann und wo auf der Westseite stattgefunden hat.

Das Buch dürfte somit in Umfang, Vollständigkeit und Informationsdichte das wohl umfassendste Werk zur Kunst auf der Berliner Mauer sein.

Mehr zur Berliner Mauer finden Sie in unserem Katalog.

             Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche

Andrea Nelli. Graffiti A New York

GRAFFITI A NEW YORK - Andrea Nelli, 2012


Der Ursprung für die weltweite Graffiti-, Street Art- und Urban Art-Bewegung liegt im New York der 1960er und 1970er Jahre. Als lokales Ereignis entwickelten sich aus anfangs schlichten Namenszügen in den Straßen und Hinterhöfen der Bezirke innerhalb weniger Jahre aufwändige Schriftbilder, die auf den Zügen der Subway durch die ganze Stadt rollten.

Als das Phänomen auf seinem Höhepunkt Mitte der 1980er Jahre durch Martha Cooper und Henry Chalfant als „Subway Art“ um die Welt ging und global Nachahmer fand, begann sich verspätet auch die Wissenschaft für die Ausdrucksform zu interessieren. Das erst 1982 erschienenes Standardwerk „Getting Up“ von Craig Castleman galt seit jeher als erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik.

Doch schon 1978 veröffentlicht Andrea Nelli mit „Graffiti a New York“ einen umfangreichen Essay nachdem er bereits sechs Jahre zuvor bei seiner ersten Reise in die Stadt mit den Namenszügen im Stadtbild konfrontiert ist. Für seine Recherche interviewt er Akteure, Galeristen, trägt Zeitungsberichte zusammen und analysiert die sich rasch wandelnde Bewegung. Durch den Bankrott des Verlags nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung seiner Dissertation im Jahr 1978, findet das Werk kaum Beachtung in der Forschung und wird lediglich ein begehrtes Sammlerstück in Szenekreisen.

Doch vierzig Jahre nach Nellis erstem New York-Besuch wurde „Graffiti a New York“ im Jahr 2012 vom italienischen Wholetrain Press Verlag wiederentdeckt, ins Englische übersetzt und neu aufgelegt. Neben dem Originaltext finden sich über 100 historische Aufnahmen des Autors, welche die wohl wichtigste Phase der Entwicklung hin zu klassischem Graffiti zeigen. Sowohl das Original als auch die Neuauflage sind Teil des Bestands der Martha Cooper Library.

Fotos: Steffen Köhler     Text: Sascha Blasche