Los cimientos de la armonía y de la invención. Escif. 2024

Mit einem Überblick über zwölf Jahre Studio- und Wandmalerei, öffentliche Interventionen, Installationen und Kollaborationen ist Los cimientos de la armonía y de la invención Escifs bislang umfassendstes und möglicherweise auch sein durchdachtestes Buch. Mit seinen 600 Seiten ist dieser massive, in Leinen gebundene Band sowohl ein Archiv als auch eine langsame Meditation, die die Entwicklung des Künstlers von einem cleveren, ideengetriebenen Straßenmaler zu einem konzeptuellen Provokateur widerspiegelt, dessen zurückhaltende Gesten weitreichende, nachhallende Interpretationsmöglichkeiten offenlassen. Der Titel des Buches ist Vivaldis Il cimento dell'armonia e dell'invenzione entlehnt und positioniert Escifs Kunst sowohl als Experiment als auch als Orchestrierung – als Kontrapunkt von Humor und Trauer, Stille und Konfrontation, Metapher und Material

Escif verdankt seinen Ruf seiner Fähigkeit, subtile und dennoch wirkungsvolle Werke im öffentlichen Raum zu platzieren – eine gemalte Leiter, die zu einem Fenster hinaufführt, ein zerbrochenes Telefon an einer Eckfassade, eine Reihe schlafender Figuren, die über die Dächer der Stadt verteilt sind. Escif lebt in Valencia und begann seine Graffiti-Karriere um 1996–1997. Anfang der 2000er Jahre entwickelte er seine öffentlichen Wandmalereien und Interventionen weiter. Diese Zeit fällt mit der Karriere von Kollegen wie Hyuro und SAM3 zusammen, die ebenfalls in Spanien bekannt wurden. Escif zeichnete sich bald durch minimalistische Formen und scharfe, sozialkritische Erzählungen aus. Escifs Bildsprache lehnt sich an Beschilderungen, Illustrationen und Protestbanner an, aber sein Tonfall erinnert oft an Haikus oder Märchen: konzentriert, mehrdeutig, sanft subversiv.
Ein wiederkehrendes Thema ist der Bruch – zwischen Mensch und Natur, zwischen Wirtschaft und Ethik, zwischen Oberfläche und dem, was darunter liegt.

In Los cimientos organisiert Escif etwa ein Jahrzehnt seiner Arbeit nicht chronologisch, sondern thematisch und assoziativ, sodass Ideen widerhallen und sich entfalten können. Das Buch vermeidet lineare Darstellungen und bedient sich einer transversalen, ja sogar kubistischen Erzählstruktur. Es positioniert sich visuell an dem, was der Künstler als „Schnittpunkt zwischen der Hybris der Enzyklopädie und der Dekonstruktion eines Biskuitkuchens“ bezeichnet – ein herrlich absurdes Bild, das die Mischung aus philosophischer Tiefe und spielerischer Dissonanz in seinem Werk perfekt einfängt. Die Struktur stützt sich auf die chinesische Theorie der fünf Transformationen und ist vom konzeptuellen Rhythmus der Konzerte Vivaldis inspiriert.

Die Abschnitte wechseln sich ab mit hochauflösenden Dokumentationen der Wandmalereien, Texten, Zeichnungen, Entwürfen und Seiten mit handschriftlichen Notizen. Auszüge und Zitate von Autoren wie Santiago Alba Rico, Teresa Juan Tato und Nacho Magro Huertas fügen einen philosophischen Faden hinzu und beleuchten die langjährige Kritik des Künstlers an Kapitalismus, Nationalismus und ökologischer Entfremdung. Andere, wie Friedensreich Hundertwasser und Hakim Bey, werden durch Zitate und Verweise im Geiste herangezogen und ordnen Escifs Kunst in eine Tradition poetischen Widerstands ein.

Das Buch ist in seinem Design zurückhaltend und elegant. Antonio Ballesteros (Formo) verleiht ihm mit seinem Design und Layout eine leichte, aber sichere Note. Das zweisprachige Format (Spanisch und Englisch) wird unaufdringlich umgesetzt und oft in parallelen Spalten dargestellt. Das Layout lässt großzügige Ränder und Pausen, was die Vorliebe des Künstlers für Leere als Raum des Potenzials widerspiegelt. Manchmal wirkt das Buch wie eine konzeptionelle Karte von Escifs innerem Mechanismus: wie er Stadtplanung mit psychologischem Widerstand verbindet oder wie ein gemaltes Wandbild sowohl als Frage als auch als Ablehnung fungieren kann. Die Fotos sind gut gedruckt und schnörkellos und zeigen oft Wandbilder vor Ort mit Passanten, Schatten oder Verfall, ganz offensichtlich vergänglich.

Diese Publikation markiert einen bedeutenden Wendepunkt in Escifs Praxis – keine Abkehr, sondern eine Konsolidierung. Während frühere Zines und Bücher eher als tragbare Portfolios oder Projektdokumentationen dienten, ist Los cimientos wie ein langer Brief an die Zukunft verfasst. Es erkennt die Paradoxien der Arbeit im öffentlichen Raum an: gesehen zu werden und dennoch anonym zu bleiben; das System zu kritisieren, während man in ihm eingebettet ist. Es begrüßt Widersprüche als Prinzip der Erfindung. Auf einer Doppelseite zeigt ein Diagramm den Anstieg der Wohnkosten im Vergleich zur Zahl der leerstehenden Häuser in Spanien; auf einer anderen ist auf einem Wandbild ein Paar Lungen zu sehen, die mit Ästen gefüllt sind. Diese Gesten sind visuelle Argumente – still, prägnant.

Die haptische Gestaltung – mit Stoff bezogener Buchrücken, Offsetdruck, Papier in Archivqualität – steht im Einklang mit seiner langfristigen Ausrichtung.
Der Abschnitt „Danksagungen” unterstreicht den gemeinschaftlichen Charakter von Escifs Kunstschaffen: ein gemeinsamer Prozess von Freunden, Aktivisten, Produzenten, Denkern und Wanderern. Seine Dankbarkeit ist spürbar: „Jeder Einzelne hat mit seinem Beitrag dieses Buch möglich gemacht. Ich schätze mich glücklich, dieses Werk mit Ihnen teilen zu dürfen, an dem auch Sie einen Anteil haben.”
Mitarbeiter wie Axel Void, Daniel Muñoz, Ernest Zacharevic und das Kollektiv Unmute Gaza tauchen auf den Seiten des Buches auf und unterstreichen Escifs umfassenden, intersektionalen Ansatz in Bezug auf Widerstand und Kreativität. Studenten, Techniker und poetische Berater werden gleichermaßen mit poetischer Anleitung und aufrichtiger Dankbarkeit gewürdigt.
Für Leser, die mit Escif noch nicht vertraut sind, bietet dieser Band eine Einführung. Für langjährige Beobachter ist er ein Meilenstein: eine umfassende, selbst verfasste Analyse eines Künstlers, der sich weigert zu schreien, dessen Werk jedoch weiterhin nachhallt. Sein Werk ist ein langsames Manifest für politische Vorstellungskraft – ein Handbuch für stillen Widerstand, eine Aufzeichnung dessen, was es bedeutet, vor einer Wand tief nachzudenken.
Text Steven P. Harrington & Jaime Rojo Fotos Eveline Wilson